Siquijor (Philippinen): Reisebericht & Reiseführer

Bevor wir zu den Hexen fahren, vorweg ein paar Tipps für die Siquijor Philippinen Anreise: Am einfachsten erreichst Du die Insel von Dumaguete auf der Insel Negros mit einem Schnellboot in ca. 45 Minuten.  Es gibt aber auch Fährverbindungen direkt von der Metropole Cebu auf der gleichnamigen Hauptinsel der Visayas und von Bohol, der vielbesuchten Touristeninsel. Die meisten Schiffe kommen in Siquijor Town, dem Hauptort der Insel an, einige aber auch in Larena, etwas weiter im Osten gelegen.

Angekommen auf Siquijor stellt sich dann aber die Frage: Wo finde ich nun die Hexen für meinen Siquijor Reisebericht? Keine Frage, mit der ich täglich konfrontiert werde. Wenn Du die offiziellen Stellen des Siquijor Tourismusbüros fragst, lautet die Antwort: "Hier gibt es keine Hexen",  was insofern korrekt ist, als dass im Rahmen der Tourismus Marketingstrategie die Hexen einen Relaunch als "Traditionelle Heilerinnen" erleben. Zumindest die mit der weißen, also guten Magie. Die böse, schwarze Magie ausübenden Hexen scheinen dem politisch korrekten Markenauftritt zum Opfer gefallen zu sein. Ganz im Ernst: Der lokalen Regierung liegt es sehr am Herzen, das Image von Siquijor als Insel der schwarzen Magie in das einer "Healing Island" zu ändern.

Die Inselbewohner erzählen Geschichten von "Mambabarangs" und "Mananambals". Ein Mambabarang nutzt seine Kräfte, um Schmerzen, Krankheit oder gar den Tod herbeizuführen.  Eine durchaus lukrative Dienstleistung, die dem Auftraggeber, so wird erzählt, auch schon mal 30.000 Pesos wert ist - um den Nebenbuhler in Liebesangelegenheiten oder den Konkurrenten im Geschäftsleben auf elegante Weise loszuwerden. Ein Mananambal hingegen setzt seine Fähigkeiten ein, um Krankheiten zu heilen und Menschen in Bedrängnis zu helfen.  Aber auch er ist geschäftstüchtig und erwartet für seine Dienstleistung eine entsprechende Aufwandsentschädigung. Auf die Frage für meinen Siquijor Reisebericht, ob die aufgeklärten, im modernen Leben stehenden Bewohner von Siquijor heute noch an die bösen Kräfte der Mambabarangs glauben, antwortet mir ein älterer Herr pragmatisch: “I don’t believe in it. But just try to avoid it.”

Ausgestattet mit einer Liste offiziell zertifizierter Heilerinnen, mache ich mich für meinen Siquijor Reisebericht auf den Weg nach San Antonio, einem kleinen Dorf im bergigen Inneren der Insel - und ausgewiesenes Zentrum der Schamanen und Heilerinnen. Mitten im dichten tropischen Wald liegt eine kleine verfallene Hütte, der eigentlich nur die Lebkuchendeko fehlt, um als Hexenhaus durchzugehen. Hier treffe ich Juanita und bin erstmal enttäuscht: Sie ist keine Greisin mit Buckel und Warze auf der Nase, die mich mit knorrigen Fingern in ihre Hütte lockt.  Juanita ist eine kleine, resolute Frau in den 50ern und spricht überraschend gut Englisch, als sie mich in ihr Haus einlädt. Juanitas Küche hingegen entspricht schon eher meinen Vorstellungen einer Hexenwerkstatt. Alle Regale und Tische sind vollgestopft mit Glasflaschen und Plastiktöpfen, in denen Kräuter, Wurzeln und Baumrinden in bizarren Flüssigkeiten schwimmen.

Die ebenfalls zum Haushalt gehörende schwarze Katze scheint aber keine tragende Rolle zu spielen und sitzt etwas gelangweilt in der Ecke, statt sich fotogen auf Juanitas Schulter zu positionieren. Juanita erzählt mir für meinen Siquijor Reisebericht, dass sie das Heiler Business von ihrem Vater übernommen hat und seit seinem Tod alleine weiter betreibt. Sie ist, wie fast alle Filipinos, tief katholisch und sieht keinen direkten Widerspruch zwischen ihrer Religiosität und dem traditionellen Schamanengeschäft. Im Gegenteil, bei der Produktion der Kräutermedizin spielt der christliche Kalender eine wichtige Rolle. Die mehr als 150 verschiedenen Zutaten der Mixturen können nur während der Fastenzeit, als zwischen Aschermittwoch und Ostern, gesammelt werden.  Das Brauen der wirkungsvollsten Arzneien erfolgt immer am Karfreitag.

Mittlerweile hat sich Joaquina, eine Freundin von Juanita und ebenfalls Heilerin, zu uns gesellt und wir machen uns für den Siquijor Reisebericht auf den Weg in den Wald. Nur wenige Meter hinter der Hütte stellt die Natur einen Supermarkt mit allen Zutaten zur Verfügung, die die Heilerinnen für Ihre Tinkturen benötigen: Blätter, Rinden, Wurzeln, Blüten, Öle und Harze- fast alle Bestandteile der Bäume, Sträucher und Kräuter können als Zutaten genutzt werden.  Für die Behandlung der verschiedenen Krankheiten wie Fieber, Kopf- und Rückenschmerzen, Allergien und Augenprobleme. 

Neben diesen physischen Gebrechen gibt es aber auch Mixturen gegen emotionale, mentale oder finanzielle Herausforderungen. Spätestens hier verschwimmen für mich die Grenzen zwischen Naturheilkunde und Aberglaube. Die aus den Pflanzen gewonnenen Medikamente werden ganz unterschiedlich eingesetzt. In besonders schweren Fällen wird die Behandlung auch schon mal durch das Beträufeln der Körperstelle mit geschmolzenem Wachs unterstützt - gewonnen aus auf Friedhöfen gesammelten Kerzenresten. 

Trotz meiner Skepsis gegenüber den alternativen Heilmethoden auf Siquijor und besonders gegenüber der mystischen Verpackung, mit welcher diese angewendet werden: Ich bin sehr beeindruckt und fasziniert von der Begegnung mit Juanita und Joaquina und von ihrer Professionalität. Die beiden kennen sich wirklich aus mit den Heilpflanzen des Waldes und machen auf mich nicht den Eindruck, mit etwas Hokuspokus einen schnellen Peso verdienen zu wollen. 

Ein touristischer Bestseller der Schamanen von Siquijor ist "Gayuma", der Liebestrank.  Als Juanita mir ein winziges Fläschchen mit der geheimen Flüssigkeit als Abschiedsgeschenk überreicht, erklärt sie mir die Anwendung. Nur wenige Tropfen, aufgetragen auf Haut oder Kleidung reichen aus, um den Träger für das andere Geschlecht unwiderstehlich zu machen. Ich bedanke mich für das großzügige Geschenk und verstaue es vorsichtig in meiner Hosentasche - nicht dass ich es nötig hätte…, aber andererseits: man weiß ja nie, und schaden kann es auf keinen Fall…

Beim nächsten Stopp meines Siquijor Reiseberichts habe ich die Gelegenheit, eine Behandlungsmethode kennenzulernen, die mittlerweile auch Einzug in die Spas und Wellnessbereiche der westlichen Hemisphäre gehalten hat. Direkt an der Hauptstraße, in der Nähe des Dorfes Campalanas, steht ein uralter "Balete" Baum, auch als Banyan Tree bekannt, der, je nachdem wen man fragt, 400 oder 500 Jahre alt sein soll und in den Geschichten der Inselbewohner eine wichtige Rolle spielt. Er hat spirituelle Kräfte und bietet einigen wichtigen Inselgeistern, den Tikbalangs, ein Zuhause.

Am Fuße des Baumes befindet sich eine Quelle, die den davor liegenden kleinen Teich mit Frischwasser speist. Die Besonderheit des Teiches erfahre ich aber erst, als ich meine Füße in das seichte Wasser baumeln lasse. Sofort erscheinen hunderte kleine "Garrarufas", bei uns auch als Doktorfische bekannt, und knabbern mir die abgestorbenen Hautschuppen von den Füßen. Diese unerwartete Massage kitzelt ganz schön, ist aber nicht so unangenehm wie befürchtet. Letztendlich erhalte ich eine kostenlose Wellnessbehandlung, für die andere in den angesagten Spas dieser Welt viel Geld zahlen.

Meine magische Reise führt mich weiter ins Nachbardorf, wo ich für meinen Siquijor Reisebericht den Medizinmann José besuche, der in seiner Hütte Bolo Bolo Behandlungen anbietet. Als ich ankomme, fühle ich mich an einen Besuch bei meinem Hausarzt erinnert. Die lange Bank auf der Veranda vor Josés Hütte ist bereits mit sechs weitere Patienten besetzt, die auf ihren Termin warten. Praktischerweise ist die Veranda gleichzeitig Warte- und Behandlungszimmer. Da Privatsphäre und Datenschutz hier nicht überschätzt werden, kann ich die Behandlungen der anderen Patienten mit verfolgen.

Der erste ist ein sechsjähriger Junge mit blutig zerkratzen Füßen - vom Spielen in einem Dornbusch, erklärt mir seine Mutter. José beginnt sofort mit der Bolo Bolo Behandlung. Sein Werkzeug besteht aus einem Glas Wasser mit einem kleinen schwarzen Stein am Boden sowie einem Halm aus Bambus. Während er das Glas über die zerkratzen Füße des kleinen Jungen schwenkt, bläst er mit dem Bambushalm blubbernde Blasen in das Wasser. Nach kurzer Zeit trübt sich das Wasser. José leert das Glas über das Geländer der Veranda und füllt es mit frischem Wasser aus einem Kanister. Dieser Vorgang wiederholt sich ein paar Mal und José untersucht das eingetrübte Wasser jedes Mal kritisch. Beim vierten Durchgang bleibt das Wasser klar, José ist sichtlich zufrieden und beendet die Behandlung des kleinen Jungen.

Die nächste Patientin ist eine junge, dicke Frau. Eigentlich ist sie gar nicht dick, ihr Bauch erscheint nur unnatürlich aufgebläht. Meine erste Vermutung geht in Richtung ungesunde Ernährung oder mangelnde Verhütung. Doch ich erfahre, dass der Grund wahrscheinlich in einem "Barang" zu suchen ist: Ein von einem schwarzen Magier verhängter Fluch, der bei seinem Opfer bewirkt, dass Käfer und andere Insekten sich in seinem Bauch einnisten,  der sich daraufhin aufbläht, bis er unbehandelt im schlimmsten Fall platzt. Doch zum Glück kann dem Fluch mit Hilfe von Bolo Bolo entgegengewirkt werden - wenn es auch in diesem Fall acht Durchgänge bedarf, bis das Wasser im Glas sich nicht mehr eintrübt.

Schließlich bin ich an der Reihe. Da ich ohnehin oft "Rücken" habe, und nach dem langen Flug auch noch ziemlich verspannt bin, ist der Einsatzbereich für meine Bolo Bolo Behandlung schnell gefunden. Ich bin erleichtert, dass das Wasser schon beim dritten Durchgang mit dem Wasserglas über meinen verspannten Rücken klar bleibt. Die bösen Geister scheinen mich trotz des Flugs in der Touristenklasse nicht zu sehr in Beschlag genommen zu haben. Ich weiß nicht ob es natürliche Regeneration, Placebo Effekt oder wahre Magie war: Am nächsten Morgen sind meine Rückenschmerzen verschwunden. Den wahren Grund werden wir nie erfahren.  

Am Abend lasse ich - zurück am Strand meines Hotels - den Tag beim Schreiben meines Siquijor Reisebericht Revue passieren. Als moderner, rational denkender Mensch fällt es mir schwer, an die Kräfte von am Karfreitag gebrauten Tinkturen zu glauben. Sollten die zerkratzten Füße des kleines Jungen nicht besser mit einer guten Salbe aus der Apotheke behandelt werden?

Doch bei Diskussionen über alternative Heilmethoden passt auch hier das alte Zitat aus Shakespeares Hamlet. Während sich die Palmen am Strand sanft im Abendwind wiegen, kommt mir Siquijor jedenfalls sehr friedlich und gar nicht verhext vor. Vielleicht zeigt die Marketingstrategie des Tourismusbüros ja bereits Wirkung, und die bösen Magier und Hexen haben die Insel verlassen und den guten Heilern und Kräuterschamanen das Feld überlassen.

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